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Wissenschaftlicher Forschungsdrang und pionierhafter Unternehmergeist
Hermine Raths und Marguerite Steiger gehören zur Gruppe von Schweizer Pionierinnen des 20. Jahrhunderts, dies sowohl in wirtschaftlicher und wissenschaftlicher als auch frauengeschichtlicher Hinsicht. Mit der Opopharma AG schufen die beiden eine der bedeutendsten Schweizer Firmen im Bereich der Pharma-Distribution. Als eines der ersten Unternehmen importierten sie ausländische Pharma-Produkte immer wieder auch pharmazeutische und medizinische Neuheiten. Im wissenschaftlichen Bereich gehörten Raths und Steiger in der Zwischenkriegszeit zu den wenigen Schweizer Hochschulabgängerinnen und arbeiteten an zum Teil bedeutenden wissenschaftlichen Projekten. Sowohl in Wirtschaft und Wissenschaft spielten die beiden für die Frauen eine Vorreiterrolle.
Gewerblicher und bürgerlicher Hintergrund
Die 1906 in Wetzikon im Zürcher Oberland geborene Hermine Raths wuchs in einem ländlich-gewerblichen Milieu auf. Die älteste Tochter eines Wetziker Drogerie-Eigentümers erwarb 1925 das Handelsdiplom an der Höheren Töchterschule in Zürich. Nach einjähriger Anstellung bei der Schweizerischen Verkehrszentrale, der Vorgängerorganisation von Schweiz Tourismus, entschied sie sich für eine akademische Ausbildung.
Marguerite Steiger wurde 1909 als jüngste Tochter eines Färberei-Industriellen in Zürich-Unterstrass geboren. Sie wuchs in gutbürgerlichem Haus auf, besuchte nach der Primar- eine Zürcher Privatschule, ehe sie ein Jahr in einem Mädchenpensionat in der Nähe von Lausanne verbrachte.
Eine lebenslange Freundschaft
Hermine Raths und Marguerite Steiger lernten sich 1926 an einer privaten Maturavorbereitungsschule in Zürich kennen. Diese Begegnung der knapp 20-Jährigen war der Beginn einer lebenslangen Freundschaft. Beruflich bauten die beiden zusammen eine Firmengruppe auf, privat teilten sie sich einen Haushalt, ihre Hobbys und ihren Freundeskreis.
Studium an der ETH Zürich
Ende der 20er Jahre immatrikulierten sich Raths und Steiger an der ETH Zürich, zu einer Zeit als Studentinnen an Schweizer Hochschulen deutlich untervertreten waren und im speziellen an der ETH gar die Ausnahme bildeten. Raths wählte die Fachrichtung Pharmazie, Steiger Chemie. Raths schloss ihr Studium 1933 mit dem Staatsexamen ab und erwarb 1937 am Institut für Pflanzenpathologie mit einer Arbeit über Flechtengonidien aus der Familie der Caliciaceen den Doktor der Naturwissenschaften.
Steiger promovierte 1933 am Institut für Chemie und doktorierte 1935 bei Prof. Dr. Leopold Ruzicka und Prof. Dr. Tadeus Reichstein mit einer wegweisenden Arbeit über das Vitamin C. Sie war die erste Schweizerin und zweite Frau überhaupt, die an der Abteilung IV der ETH (Chemie) den Doktortitel erwarb.
Zusammenarbeit mit Nobelpreisträgern
Nach Abschluss ihres Studiums blieb Marguerite Steiger als Mitarbeiterin von Prof. Dr. Tadeus Reichstein wissenschaftlich an der ETH tätig. Der Forschungsfokus verlagerte sich vom Bereich der Aminosäure auf denjenigen der Corticoide. Für diese Arbeiten wurde Reichstein 1950 mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet.
1938 verliess Steiger die ETH und schloss sich dem wissenschaftlichen Team von Prof. Dr. Alexander R. Todd (Lister Institute of Preventive Medicine in London und University of Manchester) an, ebenfalls ein nachmaliger Nobelpreisträger, der zu diesem Zeitpunkt an der Synthetisierung des Vitamins B12 arbeitete. Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges setzte Steigers wissenschaftlich-akademischen Karriere ein abruptes Ende.
In der Zeit zwischen 1934 und 1939 publizierte sie u. a. als Reichsteins Co-Autorin in zum Teil renommierten Wissenschaftszeitungen (Nature, Helvetica Chimica Acta, Journal of the Chemical Society) insgesamt 18 Artikel zu den Themenkomplexen Vitamin C, Corticoide und Vitamin B12.
Elephanten-Apotheke als Basis
Noch als Studentinnen kauften Hermine Raths und Marguerite Steiger 1934 die traditionsreiche Elephanten-Apotheke an der Marktgasse 6 in der Zürcher Altstadt. Es handelte sich dabei um die älteste Apotheke der Stadt. Erste Erwähnung hatte die Apotheke damals allerdings noch unter anderem Namen im Jahre 1575 gefunden. Die Apotheke bildete die Basis für die anschliessende geschäftliche Entwicklung. Nach dem Hinschied der beiden Stifterinnen wurde die Apotheke Ende 1994 geschlossen.
Pionierinnen der Pharma-Distribution
1937 gründeten Raths und Steiger die Firma Opopharma, die als Distributorin pharmazeutischer Produkte in der Schweiz eine Pionierrolle einnahm. Das Geschäft wurde in den 30er Jahren mit Hormonpräparaten der niederländischen Organon NV (heute zur Akzo-Nobel-Gruppe gehörend) lanciert. Nach dem 2. Weltkrieg erfolgte eine Diversifizierung. Es kamen amerikanische, europäische und australische Vertretungen aus den Bereichen Pharma, Spitalbedarf, Desinfektionsmittel, Diagnostika, Medizinaltechnologie, Ophtalmologika, Veterinärmedizin usw. hinzu (u. a. Lederle, Cyanamid, Johnson & Johnson, Pharmacia AB etc.).
Nachdem in der unmittelbaren Nachkriegszeit insbesondere Antibiotika-Produkte für das Wachstum des Unternehmens verantwortlich gewesen waren, sorgten später weitere Neuheiten wie Rezeptor-Blocker, Kontrazeptiva, Radiopharmaka, Diagnostika, medizin-technologische Apparaturen usw. für den wirtschaftlichen Erfolg. Die Opopharma AG wuchs kontinuierlich und erreichte Anfang der 80er Jahre einen Umsatz von über 80 Millionen Franken. In den wirtschaftlich besten Jahren der Firma waren rund 190 Personen angestellt.
Entwicklung der OPO(pharma)-Gruppe
Im Zuge des geschäftlichen Erfolgs wurden ab Mitte der 50er Jahre weitere Gesellschaften gegründet oder akquiriert (Oryx Pharmazeutika AG, Esquire AG, Galimedica AG, Schweizerhaus AG, ASSAF Ltd., Wyberg Apotheke AG, Polymed GmbH). 1973 wurde zusätzlich die an der Marktgasse 4 in der Zürcher Altstadt gelegene Rathaus-Drogerie erworben, welche mit der unmittelbar angrenzenden Elephanten-Apotheke eine Einheit bildete. Ab den 90er Jahren erfolgte eine Differenzierung des Portefeuilles. Ende 1994 wurden die Elephanten-Apotheke sowie die Rathaus-Drogerie geschlossen und bis auf die Polymed Medical Center AG alle Tochtergesellschaften veräussert, ehe 2007 auch diese Gesellschaft verkauft wurde.
Die OPO-Stiftung
Hermine Raths und Marguerite Steiger, die beide kinderlos blieben, setzten mittels letztwilliger Verfügung die OPO-Stiftung als ihre gemeinsame Rechtsnachfolgerin ein. Ihr gesamtes Geschäfts- und Privatvermögen sollte in diese eingebracht werden. Ein Jahr nach dem Hinschied von Hermine Raths kam es 1985 zu deren Errichtung.
Lesenswertes zur OPO-Stiftung
Wer mehr über Leben und Werk von Hermine Raths und Marguerite Steiger erfahren möchte, sei auf das vom Historiker Martin Schmid verfasste Buch «Man muss nur etwas daraus machen Das Lebenswerk von Marguerite Steiger und Hermine Raths» (Zürich 2005) verwiesen. Es kann schriftlich bei der Geschäftsstelle der OPO-Stiftung bestellt werden. Weitere Informationen zur Stiftung sind zudem dem NZZ-Artikel von Sigi Schär vom 13. September 2005 «Eine Stadtpalais-Renovation und ein Buch Erinnerungen an die Opopharma-Gründerinnen Marguerite Steiger und Hermine Raths» zu entnehmen.
NZZ-Artikel vom 13.09.2005 (370kb)
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